Mit dem Begriff der „ekstatischen Wahrheit“ möchte der Filmregisseur und Schriftsteller Werner Herzog zum Ausdruck bringen, dass Wahrheit nicht in der sachlichen, objektiven Wiedergabe oder Darstellung von etwas offenbar werden kann. Sie zeigt sich vielmehr in der künstlerischen Tätigkeit und im Werk selbst.
„Natürlich dürfen wir das Sachliche nicht ignorieren, denn es hat eine normative Kraft, aber es kann uns niemals eine Erleuchtung, eine ekstatische Erleuchtung geben, die der Wahrheit innewohnt. [...] Aber in der bildenden Kunst, in der Musik, in der Literatur und im Kino ist eine tiefere Ebene der Wahrheit möglich – eine poetische, ekstatische Wahrheit, die geheimnisvoll und schwer fassbar ist und nur durch Fantasie, Stilisierung und Erfindung erreicht werden kann.“ (VOM ABSOLUTEN, DEM ERHABENEN UND EKSTATISCHER WAHRHEIT)
Dieser Gedanke hat mich nachhaltig inspiriert. Mit meiner Arbeit möchte ich dem nachspüren, was sich als Wahrheit oder vielleicht als Absolutes (Gott?) nur in der künstlerischen Erfahrung offenbart. Es geht mir dabei nicht um eine Wahrheit im dogmatischen Sinn, nicht um richtige oder falsche Überzeugungen, oder gar Weltbilder. Mich beschäftigt vielmehr die Ahnung, dass sich hinter unserer sozial konstruierten, historischen Realität etwas verbirgt: wandelnd, doch von beständiger Gegenwärtigkeit – und dem eindeutigen Begriff entzogen.
„Aber mein Weltbild habe ich nicht, weil ich mich von seiner Richtigkeit überzeugt habe; auch nicht, weil ich von seiner Richtigkeit überzeugt bin. Sondern es ist der überkommene Hintergrund, auf welchem ich zwischen wahr und falsch unterscheide." (Wittgenstein ÜG § 94)
„Aber mein Weltbild habe ich nicht, weil ich mich von seiner Richtigkeit überzeugt habe; auch nicht, weil ich von seiner Richtigkeit überzeugt bin. Sondern es ist der überkommene Hintergrund, auf welchem ich zwischen wahr und falsch unterscheide." (Wittgenstein ÜG § 94)
Sowohl Wittgenstein als auch Herzog wenden sich gegen die Vorstellung, Wahrheit sei etwas, das man besitzen oder beweisen könne. Für Wittgenstein liegt sie im alltäglichen Handeln, in jenem „überkommenen Hintergrund“, also unserer historisch geformten Realität, auf dem wir überhaupt erst zwischen wahr und falsch unterscheiden. Herzog hingegen sucht sie jenseits des bloß Faktischen – in der künstlerischen Geste, in Fantasie und Stilisierung. Beide begreifen Wahrheit nicht als dogmatische Gewissheit, sondern als etwas, das sich im Tun, im Ausdruck, in der Erfahrung zeigt.
Fotografie ist für mich eine Form der Orientierung und Selbstvergewisserung, insofern ich im Bildermachen mich selbst und die Welt zugleich erkennen kann. Sie ist eine Vergewisserung, dass ich lebendig bin und als phantasierendes, schöpferisches Wesen mit Neugierde durch die Welt gehe. Mehr noch als das belichtete fotografische Bild – das gewissermaßen sichtbare Produkt – bereitet mir das Bildermachen besondere Freude. Denn sie ist für mich eine meditative Tätigkeit, in der ich ganz Wahrnehmung werde, mich intuitiv führen lasse und innerlich zur Ruhe komme (Becoming Still). Ein seltener Zustand der Gelassenheit durchdringt diese Momente meines Lebens, in denen ich eine schlichte, aber tiefe Freude verspüre, am Leben zu sein.