Singularität verstehe ich hier als Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit aller Dinge – von Personen, Tieren, aber auch von Ereignissen wie einer Begegnung. Doch Einzigartigkeit bedeutet auch die Wahrnehmung des Getrenntseins und der Andersartigkeit jedes Seienden. Es kann keine Unverwechselbarkeit ohne Andersartigkeit, ohne Getrenntsein, ohne das Zurückgeworfensein auf die eigene Existenz geben. Die Wahrnehmung, dass jedes Seiende auf sich selbst zurückgeworfen ist und nicht im jeweils anderen aufgeht; die Erkenntnis, dass die Last meines Daseins in seiner Gänze nicht von einem anderen getragen werden kann. Es bedeutet somit auch Verletzlichkeit, Hilfsbedürftigkeit, aufeinander angewiesen zu sein, Unvollkommenheit, denn alle Dinge brauchen einander – nicht nur der Mensch als soziales Wesen.
Einzigartigkeit lässt sich nur schwer erkennen; sie muss freigelegt werden. Aber es gibt keinen Wesenskern, zu dem man bloß vordringen, auf ihn schließen oder ihn definieren müsste. Vielmehr erscheint Einzigartigkeit, fügt sich (wie ein Geschick?), schenkt sich selbst aus und überkommt einen – sich offenbarend. Ihr Erkennen lässt sich nicht herstellen; jedes Machen, jedes Streben muss zu einem Ende kommen. Das Getrenntsein ist keine Trennung im eigentlichen Sinn, sondern die Weise, in der das Eine sich als Vieles zeigt. Wenn ich nichts mehr will und meine Absichten nicht mehr ausschließlich meine Wirklichkeit formen, dann ist es möglich zu erkennen, dass alles bereits vorhanden ist. Es muss nichts mehr optimiert werden.
Und dann kann es geschehen, dass die Zeit selbst stehenbleibt und der Augenblick sich in eine ewige Unzeitlichkeit auflöst – wie im buddhistischen Verständnis des Daseins, in dem Vergangenheit und Zukunft als bloße Vorstellungen vergehen. Ich erkenne dann, dass alles bereits in seiner Vollkommenheit vorhanden ist – genau so, wie es ist: in seiner Einzigartigkeit und zugleich in seiner Gleichartigkeit mit allem Seienden. Es gibt dann keine Geheimnisse mehr, keinen Glauben und kein Meinen mehr – nur das Aufgehen im Augenblick, in Ewigkeit: jenes nunc stans, das die christliche Mystik als das ruhende Jetzt Gottes beschreibt.